Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Das Varieté muß sterben
Moderne Revuen waren nur noch Augenblickserfolge
Die 17. Folge

Noch einmal gelingt es in den Jahren 1951 bis 1954 einen Abglanz der großen Operetten-Zeit der zwanziger Jahre auf die Bühne zu zaubern. »Käpt'n Bay-Bay« (»Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise«, »In meinem Schaukelstuhl« und »Oh, Signorina« waren die Erfolgssongs, die jeder Gassenjunge pfiff) kehrt nach dem unfreiwilligen Abbruch des Gastspiels durch den Großbrand ins Thalia-Theater zurück. Die Kassen werden buchstäblich gestürmt.

Die »Rote Isabell« wirbelte über die Bretter, neue kesse Melodien erklingen anstelle der einstigen Walzerlieder, es folgen große Bühnenschauen mit den Lieblingen von Film, Funk und Schallplatte, allen voran die vielgefeierte Caterina Valente und die Idole der Jugend, Freddy Quinn, Bill Ramsey und wie sie alle heißen. Auch ein neuer Versuch, artistische Nummern im Rahmen aufwendiger, tempogeladener Revuen zu servieren, wird unternommen. »Tropical Expreß« war ein Beispiel dafür. Solch eine Show konnte nur in einem so großen Haus wie dem Thalia gezeigt werden, und hier begannen bereits vielfach unüberwindliche Schwierigkeiten, denn die Zahl der großen Vergnügungsetablissements in Deutschland schmolz immer mehr zusammen.


Der Ruf verblasste

Nur wenige spürten, daß sich ein unaufhaltsamer Abstieg ankündigte. Mit dem Mut der Verzweiflung und einem Glauben an die Zugkraft eines Großfilm- und Varieté-Theaters, der jahrelang noch Berge versetzte und immer wieder einen Thalia-Abend zu einem festlichen Erlebnis werden ließ, stemmten sich die Verantwortlichen gegen eine Entwicklung, die nicht mehr aufzuhalten war.


Neuer Ufa-Start

Mit einer guten Bilanz kann Robert Bartholomai 1953 sein »Wuppertaler Gastspiel« beenden und nach Hamburg zurückkehren, um sich dort ganz seinem Operettenhaus und seinen vielfältigen anderen Wirtschaftsunternehmen zu widmen. Er blieb aber Pächter des Thalia-Theaters, das er an den Ufa-Konzern weiter verpachtete.

Die Ufa war nach der finanziellen Misere, die sein 1926/27 mit einer Schuldenlast von 50 Millionen Reichsmark in die Arme des Hugenberg-Konzerns trieb, nach der Entflechtung und Reprivatisierung nach dem Zusammenbruch 1945 unter schweren Geburtswehen wiedererstanden.

Ein neues Machtgebilde entstand. Die Käufergruppe steht unter Führung der Nachfolgebanken der deutschen Bank, beteiligt sind der CDU nahestehende Privatbanken und eine Reihe filmischer Großbetriebe. 80 führende Theater, vor allem in West- und Norddeutschland, werden von der wiedererstandenen Ufa kontrolliert. Manche »kleinen« Filmtheaterbesitzer, die sich ihre Unabhängigkeit bewahrt haben, bekommen eine Gänsehaut. »Ein alter Konzern wurde zerschlagen, um einen noch größeren zu errichten«, heißt es in den ersten Kommentaren. Und gebannt verfolgen die Filmtheaterbesitzer und die Filmfreunde die neue Entwicklung. Die einen voller Furcht, die anderen voller Hoffnung auf eine Renaissance großer (politische ungefärbter) Ufa-Erfolgsfilme.


In aller Munde

Mit Schwung und Optimismus geht es am 14. August 1953 nach einigen Umbauten und Renovierungen an die Arbeit. Die Leitung des Hauses wird Erich Scharloh übertragen. Eine Kette von Erstaufführungen großer Filme folgt, die Stars des Tages quittieren selbst den Dank des Publikums und verwöhnen es mit Autogrammen, Artisten aus aller Welt geben sich ein Stelldichein, Heinz Rohr schwingt seinen Taktstock über eine stattliche Kapelle, die zur Bühnenschau und in der Pause vor dem Film susiziert, traditionsgemäß gastieren in der Weihnachtszeit die aus Wuppertal stammenden Artisten, die Karnevalisten mieten das Haus zu Gala- und Prunksitzungen festlich-heiterer Art, einige reisende Operettenensembles kommen, die Bühne wird zum Boxring und zum Konzertpodium – kurz, das Thalia-Theater macht erneut von sich reden.

Scharloh, der für gute Filme sorgt, und Kraft, der unermüdlich nach neuen artistischen Glanznummern ist, ergeben ein gutes Gespann. Erich Scharloh hatte sich bereits viele Jahre hindurch in der Leitung der Ufa-Häuser Odin, Atrium und Modernes Theater am Wall bewährt, er zeigt auch jetzt, daß er ein ausgesprochener Filmexperte ist.


Varieté passé

Drei Ufa-Häuser in einer Stadt, das mußte eine durchschlagende Stärkung bei den Filmabschlußverträgen bedeuten. Vor allem aber mußte eine hohe Ausnutzung der Eigenproduktion gegeben sein. Das war die Hoffnung. Man täte Scharloh bitter Unrecht, wenn man ihn als Gegner des Varietés bezeichnete. Er freute sich mit Werner Kraft über jede neue Attraktion, die auf der Bühne Erfolge feiern konnte. Aber er rechnete gleichzeitig nüchtern und hielt den Kontakt zum Stammpublikum. »Es wurde immer deutlicher, daß die große Zeit des Varietés zu Ende ging. Der Film beanspruchte ein immer größeres Interesse. Nach meinen Erfahrungen kamen die Leute immer mehr allein des Filmes wegen ins Thalia. Sie nahmen das Varieté nur noch als eine Zugabe – die oftmals als störend, zeitraubend und kostspielig betrachtet wurde. Selbst ein gut ausgewogenes großes Varieté-Programm vermochte nicht mehr die Ränge zu füllen, wenn in einem anderen guten Theater der Stadt ein filmischer Knüller lief. Es fehlte einfach ein neuer Rastelli, ein Carl Napp, eine La Jana und wie sie alle hießen, die einst im Thalia Beifallsstürme entfachten.«


Kein Interesse mehr

So kam es dann, daß immer häufiger die abschätzige Bemerkung laut wurde: »Das haben wir so oft schon gesehen«, wenn auch die entscheidenden artistischen Nuancen noch so gelungen waren, und »Das machen wir in unserem Sportverein als Amateure«, wenn ein Artist im klassischen Stil seine Körperbeherrschung demonstrierte.

Das letzte Kapitel in der Geschichte des Thalia-Theaters ist mit den Begriffen »es hätte alles anders gemacht werden müssen – es hätte alles ganz anders laufen müssen« zu umschreiben. Aber die Rechnung, nur große filmische Erstaufführungen heranzuholen, ging nicht auf, die Ufa mußte ihre Pläne von einer Neuauflage ihrer alten »todsicheren« Erfolgsproduktion begraben, das Varieté wurde eingestellt, weil es nicht mehr die wöchentliche Unterhaltung von rund 3500 DM einspielen konnte (letzte Großveranstaltung in der Kopplung von Film und Varieté »Hula-Hopp, Conny« am 12. März 1959, danach nur noch mit einigen Unterbrechungen und Sonderveranstaltungen artistischer Art). 7000 DM hatten mit Varieté wöchentlich eingespielt werden müssen, nun genügte die Hälfte der Summe zur rentablen Führung.


Gerade noch rentabel

Der Erfolg des Kinos hing jahrelang ausschließlich vom Film ab. Und hier setzte nun die große Fernsehwelle ein, begann die fortschreitende Kinomüdigkeit im Tal der Wupper. Ab 1960 war eine individuelle Steuerung des Theaters praktisch nicht mehr möglich, da alle Abschlüsse von der Düsseldorfer Ufa-Zentrale getätigt wurden. Noch nie aber gelang es bei der Mentalität der Wuppertaler, ein Unternehmen von auswärts, gleichgeschaltet mit anderen Häusern an anderen Plätzen zu dirigieren.

Bis zuletzt gelang es, das Haus rentabel zu halten – das war ein Erfolg, auf den Scharloh stolz sein kann. Das ist gleichzeitig auch eine Ehrenrettung für das so oft umstrittene, ebenso hoch gelobte wie vielfach verdammte Thalia-Theater. Aber das konnte der Ufa, die nicht mehr an der Ausweitung, sondern nur noch an Konzentrierung denken konnte, die ihre Spielfilmproduktion einstellte, nicht genügen. Clevere Filmtheater-Manager sind bereits dem Zug der Zeit gefolgt und haben ihre Theater radikal verkleinert, den Unkostenapparat auf das Notwendigste gedrosselt.

Die Ufa war froh, daß sie 1962 den Vertrag mit der Stadt lösen konnte. Der Konzern hatte größere Sorgen als die Erhaltung des ruhmreichsten Theaters des Bergischen Landes. Die Entscheidung über das Ende der Thalia-Ära war damit bereits gefallen. Die meisten Wuppertaler wußten es nur nicht, oder sie glaubten immer noch an ein Wunder, das, wie so oft in der wechselvollen Geschichte dieses Hauses, die entscheidende Wende brächte.

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Gutachter-Urteil war vernichtend
Umbau zum Schauspielhaus unmöglich.