Harald Dülfer
Glanz und Niedergang des Thalia-Theaters

Eine Pioniertat im Theaterbau
Dieses Haus hätte kein Fürst prunkvoller gebaut
Die dritte Folge

Die Chronisten werden nicht müde, einen Tag nach der feierlichen Eröffnung des »modernsten und elegantesten Varieté- und Operetten-Theaters des Kontinents« die Vorzüge des »Thalia« in blumenreicher Sprache anzupreisen.

Am 13. Dezember 1906 schwelgen die »Neusten Nachrichten« in Superlativen:
»Die in Berlin wie im Rheinland rühmlichst bekannte Architektenfirma Boswau und Knauer (auch heute noch führend in ihrer Branche) hat den Bau in 219 Arbeitstagen ausgeführt.« – »Von außerordentlicher Wirkung ist der Zuschauerraum in Folge seiner meisterhaften Anlage mit den drei großen Rängen und der frohsinnigen Farbenzusammenstellung von Weiß, Gold und Rot in diskreter Verschmelzung sowie des erlesenen bildhauerischen Schmucks«.

Fünftausend Quadratmeter groß war der Grundstückskomplex des Theaters. Als erstes aber fiel dem Chronisten das Relief am Giebel der Hauptfassade auf, das den »Siegeszug der Liebe« darstellte. Er begeistert sich dann an Tänzerinnen und Marathonsiegern, die den Haupteingang zieren, an der breiten, der Außenfront vorgelagerten siebenstufigen Freitreppe, über die man durch drei reichgeschmückte Eingangspforten das marmorverkleidete Eingangsvestibül betritt, dann auf Marmorstufen durch drei Eingänge zum fünf Meter breiten Umgang des Parketts gelangt und von dort wiederum seitlich auf Marmortreppen zum Foyer des ersten Ranges emporsteigt.


Vornehm-schlicht

»Das Foyer überrascht durch seine gewählte, vornehme Schönheit, ganz weiß gehalten, wölbt sich in edler Form der Sims zur flachen, weißen Decke, von der zahllose Glühbirnen herabstrahlen. Seitlich des Balkons ist je eine Nische für Erfrischungen angebracht. Drei Hauptfenster gehen zur Wupper hinaus, zwei zu den Treppenhäusern, deren Wandflächen mit Gemälden, Liebesszenen darstellend, geschmückt sind, während die reich profilierten Pilaster ebenso wie jene des Foyers zart modellierte Medaillons zeigen.«

Es ist schon ein ganz ungewöhnlich prächtiges Haus, das sich den staunenden Besuchern aus dem ganzen Bergischen Land präsentiert: An das Foyer schließt sich ein sechs Meter breiter Umgang an, von dem man in die großen, bequem eingerichteten Logen gelangt. Der Umgang steht in Verbindung mit einem Festsaal im großen Restaurationsgebäude.


An nichts gespart

Stattlich sind die Maße des Zuschauerraums: 21 Meter breit, 25 Meter tief und 18 Meter hoch. Im Parkett gibt es 754, im ersten Rang 330, im zweiten 492 und im dritten Rang 380 Sitzplätze, so daß also zu jeder Vorstellung 1 956 Menschen eingelassen werden können!

»In der Mitte der Kuppel befindet sich eine prächtige, in Bronze getriebene Entlüftungsrosette, um die sich ein Kranz von Beleuchtungskörpern windet, der von mehr als 80 Glühlampen und acht Bogenlampen umgeben ist, die ihr Licht durch Perlenschalen hindurch in den gewaltigen Raum ergießen. Den Rand der Kuppel schmückt ein lebhaft bewegter Bacchantenfries. Die Decke wird gestützt von sechs von unten aufstrebenden Pfeiler, die sich stumpf gegen die Decke stützen, seitlich durch zwei breite und reich ornamentierte Stützen, die gekrönt sind von Karyatiden (Säulen in Form einer weiblichen Gestalt) und fernerhin durch drei Wagenbogenstellungen, die in reiches Ornament ausklingen«, heißt es in der anerkennenden Zeitungsschilderung.

Das eigentliche Proszenium stellt gewissermaßen eine Bühnentorumrahmung dar, die gegen die Bühne durch einen dreiteiligen, ganz in Gold und Rot gehaltenen, in reicher Applikationsstickerei geschmückten Vorhang abgeschlossen wird. Der mittlere Teil des ersten Ranges ist mit figürlichen Darstellungen geziert.


Nur nicht halbseiden

In das Restaurant gelangt man durch ein gleichfalls ornamental reich geschmücktes Portal von der Kölner Straße her, sowie über eine hohe Freitreppe vom Islandufer. Im unteren Geschoß enthält es den sogenannten »Theatertunnel«, im rückwärts gelegenen Teil des Parterres eine »in Anklängen an die Biedermeierzeit« eingerichtete Bar. Denn sowenig die Elberfelder auf diesen mondänen Zug verzichten mochten, es durfte nicht »halbseiden« wirken, selbst die Bar mußte noch den Hauch des grundsoliden, des zuverlässigen und Gemütlichen tragen. Im vorderen Teil ist ein Café-Restaurant eingerichtet, in dem sich dieses Solide, Heimatverbundene durch streng naturalistische Gemälde von den Schönheiten der engeren Umgebung noch deutlicher ausdrückt, als es naturgemäß in der »Bar« möglich war.


Sehr viel Marmor

Prunkstück dieses Restaurationsgebäudes (in dem sich heute das Hotel befindet) ist ein kleiner Saal, dem sich der eigentliche Festsaal mit 25 Meter Länge, 13 Meter Breite und einer Ausdehnung über zwei Stockwerke anschließt. Die reich kassettierte Decke ruht auf 14 grünen Marmorsäulen. Von der weißen Brüstung der nur wenig in den Raum vorspringenden Musikbühne heben sich zart-goldene Reliefs ab. Die gegenüberliegende Seite ist durch ein dekoratives Bild ausgefüllt, das ein Rosenfest darstellt.

Sehr viel Handstickerei wurde zur weiteren Ausgestaltung dieses sehr vornehmen und stilvollen Festsaales benutzt, um ihn ganz bewußt hervorzuheben aus der Vielzahl der damals bestehenden Festsäle, die zumindest an den Wochenenden viele Menschen aufnahmen, die sich noch ganz den Gaumengenüssen und dem Ohrenschmaus hinzugeben vermochten.


Ein wahrer Prunksaal

Die der Fensterwand gegenüberliegende Seite des Saales besteht völlig aus Spiegeln mit bronzenen Rosengehängen. Der Parkettboden ist mit einem weichen roten Teppich belegt. »Prunkend und anheimelnd«, heißt es in einer alten Chronik über diesen fast fürstlich zu nennenden Festsaal. In ganz Deutschland handelt es sich um die erste »Spezialitätenbühne«, die alle technischen Einrichtungen aufweist, die sonst nur für große theatralische Aufführungen und Opern vorgesehen waren. Hier ist es deshalb möglich, nicht nur internationale Varieté-Programme abrollen zu lassen, sondern genausogut anspruchsvolle Opern und große Ausstattungsoperetten zu bringen.

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